Archive - Mär 24, 2020

„Bestellen Sie keine Eintrittskarten“

Weitere Chemie- und Pharmakonzerne verschieben wegen der Corona-Pandemie ihre Hauptversammlungen oder halten diese mittels Videokonferenzprogrammen ab. Aktionärsvertreter sind darüber nicht uneingeschränkt erfreut. 

 

Angesichts der Corona-Pandemie haben weitere Chemie- und Pharmakonzerne angekündigt, ihre Hauptversammlungen zu verschieben. Der Vorstand des Spezialchemieunternehmens Lanxess fasste seinen diesbezüglichen Beschluss am 23. März. Statt am 13. Mai findet seine HV zu einem „späteren Zeitpunkt“ statt, der noch festgelegt werden muss. Die Münchner Wacker Chemie hat ihre für den 20. Mai 2020 geplante HV auf den 4. August verschoben.

 

Unterdessen fordert der Dachverband der Kritischen Aktionäre, die Hauptversammlungen nach Möglichkeit zu verschieben, anstatt sie mittels Video- bzw. Telekonferenzprogrammen quasi „virtuell“ abzuhalten. Die Frist, innerhalb derer eine HV stattfinden muss, soll laut der geplanten Novelle des deutschen Aktiengesetzes von acht auf zwölf Monate nach Abschluss des Geschäftsjahres verlängert werden. Dies begrüßt der Verband. Hingegen wehrt er sich vehement gegen eine Bestimmung, der zufolge Unternehmensvorstände in Zukunft „nach freiem Ermessen“ darüber entscheiden können, welche Fragen sie wie beantworten. Barbara Happe, Vorstandsmitglied im Dachverband, konstatierte, das Fragerecht der Aktionäre dürfe „nicht durch den Vorstand willkürlich begrenzt werden. Es muss weiterhin gelten, dass alle Fragen sachgerecht beantwortet werden. Ansonsten ist keine umfassende Beurteilung der Geschäftstätigkeit eines Konzerns möglich, was die Basis für die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat ist“.

 

Planmäßig am 28. April veranstaltet dagegen der Schweizer Pharma- und Spezialchemiekonzern Lonza seine HV bzw. Generalversammlung. Sie erfolgt allerdings „ausschließlich durch Stimmabgabe mittels dem unabhängigen Stimmrechtsvertreter und ohne physische Anwesenheit der Aktionäre“. In einem Schreiben an die Aktionäre betonte Albert M. Baehny, der Präsident des Verwaltungsrates von Lonza, durch die Vollmachtserteilung an den unabhängigen Stimmrechtsvertreter „sind Ihre Stimmrechte vollumfänglich gewährleistet, ohne dass Sie physisch an der Generalversammlung teilnehmen müssen. Bitte bestellen Sie keine Eintrittskarten“. Als unabhängiger Stimmrechtsvertreter soll die Basler Anwaltskanzlei ThomannFischer, Anwälte und Notare bestellt werden.

 

 

 

Labor-Logistikketten in Zeiten von Corona

Die einen Labors arbeiten auf Hochtouren, die anderen schließen. Anbieter und Händler von Labor-Equipment und persönlicher Schutzausrüstung haben sich auf diese ungewöhnliche Situation eingestellt, wie ein Rundruf des Chemiereport ergab.

Die Aufgaben vieler Labors werden, vor allem wenn sie im Bereich der Life Sciences tätig sind, auch in Zeiten wie diesen nicht weniger. Aber kann sich ein Labor angesichts des eingeschränkten Betriebs vieler Wirtschaftszweige derzeit ausreichend mit benötigten Reagenzien und Equipment versorgen?

Ein Rundruf bei österreichischen Laborhändlern zeigt ein klares Bild: Alle Unternehmen arbeiten mit voller Kraft und versorgen ihre Kunden mit hochwertigem Equipment. Bei manchen Produktgruppen gibt es aber langsam Engpässe: „Ethanol, Isopropanol und Wasserstoffperoxid, die zur Desinfektion eingesetzt werden, sind in Österreich immer schwieriger zu bekommen“, sagt dazu Fritz Bartelt, Geschäftsführer des Laborausstatter gleichen Namens. „Auch Equipment für die Mikrobiologie könnte in den nächsten Wochen knapp werden“, ergänzt Nicolas Zeller, der das familieneigene Laborhandelsunternehmen leitet.

 

Hoher Bedarf an persönlicher Schutzausrüstung

Besonders schwierig ist die Situation bei persönlicher Schutzausrüstung, die zeitweilig verhängte Ausfuhrbeschränkung in Deutschland macht hier zu schaffen. Viele Händler versuchen über ihre Kontakte, zusätzlich Kontingente zu erhalten. Die Firma Dräger ist ein Anbieter in diesem Produkt-Segment. „Zurzeit werden Atemschutzmasken und Schutzanzüge extrem stark nachgefragt. Der Bedarf ist deutlich höher als die Kapazitäten der Hersteller“, heißt es dazu von der Presseabteilung der Firmenzentrale in Lübeck. Die Produktion von Atemschutzmasken (die bei Dräger in Schweden und Südafrika angesiedelt ist) sei voll ausgelastet und bis in die zweite Jahreshälfte ausverkauft. Doch das müsse man relativieren: „Unser Anteil an der weltweiten Produktionskapazität ist allerdings sehr klein, wie auch der Anteil dieses Geschäfts an unserem Umsatz.“ Obwohl man am österreichischen Standort zum Großteil dazu übergegangen sei, von zu Haus zu arbeiten, bleibe der Betrieb aufrecht, Anfragen würden in gewohnter Weise bearbeitet. „Es gibt lediglich Einschränkungen im persönlichen Kontakt, z. B. werden Produktvorführungen nach Möglichkeit vermieden“, heißt es von Seiten Drägers.

Abgesehen von diesen Produktgruppen funktionieren die Lieferketten nach übereinstimmender Aussage der Händler aber ohne Unterbrechung. „Wir können derzeit alles liefern, die Branche kann gut mit Labor-Equipment versorgt werden“, sagt dazu Franz Rieger, Inhaber der Rieger Industrievertretungen GmbH. Auch die Nachfrage sei nach wie vor gut. Das trifft vor allem auf Labors zu, die rund um Medizin, Pharmazie und Lebensmittelversorgung angesiedelt sind, wie Zeller bestätigt: „Die Telefone laufen heiß.“ In anderen, besonderes in industrienahen Bereichen, steht derzeit vieles. „Auch die Unis und Schulen haben geschlossen, das merken wir“, sagt Walter Posch, Geschäftsführer von Lactan. Solche Schließungen würden auch dazu führen, dass offene Bestellungen nicht ausgeliefert werden können und mehr Lagerplatz benötigt wird.

 

Eingeschränkter Betrieb bei Boehringer Ingelheim

Ein wichtiger Player der Branche am Standort Wien ist Boehringer Ingelheim RCV: „Wir achten strengstens auf die Einhaltung aller Vorschriften sowie des vorgeschriebenen Sicherheitsabstands. Dienstreisen sind seit einigen Wochen nicht mehr erlaubt, Meetings finden nur mehr online statt“, beschreibt Generaldirektor Philipp von Lattorff die derzeitige Situation. Es würden sich nur mehr jene Menschen auf dem Firmengelände befinden, deren Arbeit vor Ort unbedingt gebraucht wird, etwa für die Herstellung lebensnotwendiger Arzneimittel zur Behandlung von Krebs oder für die Fertigstellung der neuen Produktionsanlagen. Auch die Aktivitäten in Forschung und Process Science wurden auf ein Minimum reduziert. „Doch wir sind zuversichtlich, wenn die Corona-Krise in einigen Monaten überstanden sein wird, mit allen Funktionen wieder voll durchstarten zu können“, so von Lattorff.

Auch alle befragten Handelsunternehmen betonen, dass sie für den Schutz von Mitarbeitern und Kunden vorgesorgt haben. „Wir haben uns im Betrieb so eingerichtet, dass die Mitarbeiter von hier aus arbeiten können. Kundenbesuche von Vertriebsmitarbeitern finden derzeit aber nicht statt“, so Zeller. Andere haben weitgehend auf Home-Office-Betrieb umgestellt. „Als wir gesehen haben, dass sich die Lage zuspitzt, hat unsere IT-Abteilung alle Prozesse so aufgesetzt, dass sie die Mitarbeiter von zuhause erledigen können“, sagt Bartelt. Daher benötige man im Unternehmen selbst nur eine Rumpfmannschaft.

Die Laborspezialisten haben sich so eingerichtet, dass dringende Service-Arbeiten durchgeführt werden können: „Der Kunde muss uns aber sein OK geben, dass wir kommen können und Zugang zu den Geräten bekommen“, betont Bartelt. Bei vielen Projekten bestehe derzeit daher auch ein höherer Koordinationsaufwand.