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Chemiereport_2016-4

40 AustrianLifeSciences chemiereport.at 2016.5 COVERTHEMA Bild: Gagnon CERN CR: Was macht die besondere Faszina- tion der Teilchenphysik aus? Für mich bedeutet dieses Fachgebiet, zu den Grundlagen vorzudringen und die kleinsten Bausteine der Materie zu finden. Auf diese Weise bringt man Einfachheit in eine Welt, die sehr komplex scheint. Wir kennen heute rund 140 Teilchen (z. B. Protonen, Neutronen, Pionen usw.), aber die meisten bestehen aus noch kleineren Teilchen. Es gibt nur zwölf fundamentale Bausteine, aus denen, wie in einem Bau- kasten, alle anderen zusammengesetzt sind. Das, was komplex aussieht, wird also einfach, sobald man das grundlegende Schema verstanden hat. Derzeit sind wir noch dabei, dieses Schema aufzustellen. Wir haben diese zwölf Quäntchen der Materie und ihre Antiteilchen gefunden, dazu noch eine Handvoll Austauschteil- chen, die mit den Kräften assoziiert sind, die diese elementaren Teilchen zusam- menhalten. Aber wir wissen, dass da noch mehr ist, denn alles, was wir schon ken- nen, kann die sogenannte „Dunkle Mate- rie“ nicht erklären. CR: Kann man in wenigen Sätzen dar- stellen, was „Dunkle Materie“ und „Dunkle Energie“ sind? Damit die Sterne in Spiralgalaxien, die sich mit hoher Geschwindigkeit um sich selbst drehen, nicht fortgeschleudert wer- den, bedarf es einer starken Gravitations- kraft. Die Galaxien-Masse, die man aus dem emittierten Licht abschätzen kann, reicht aber nicht aus, um das zu bewir- ken. Daraus schloss der Schweizer Astro- nom Fritz Zwicky, dass es mehr Materie in der Galaxie geben muss, als sichtbar ist, und nannte diese „Dunkle Materie“. 1995 stellten zwei Forscherteams fest, dass sich die Expansion des Weltalls, in der es sich seit dem Urknall befindet, beschleunigt. Diese Beschleunigung wird durch „Dunkle Energie“ befeuert – eine mysteriöse Energieart, die sich von allen anderen Energiearten, die wir kennen, unterscheidet. Heute wissen wir, dass 27 Prozent des Universums aus Dunkler Materie und 68 Prozent aus Dunkler Ener- gie bestehen und all das, was wir sehen, also alle Sterne und Galaxien zusammen, lediglich die restlichen fünf Prozent aus- machen. CR: Manchmal werden die hohen Aus- gaben für die aufwendigen Experi- mente der Teilchenphysik kritisiert, die (wie die Kritiker glauben ) nicht zur Lösung drängender Probleme beitra- gen. Was würden Sie antworten? Es ist klar, dass Grundlagenforschung viel kostet, aber der Ertrag ist zehnmal größer. Die unmittelbaren Ergebnisse unserer Forschung – etwa, dass wir das Higgs-Bo- son gefunden haben – werden vermutlich nie eine praktische Anwendung finden. Aber indem wir diese Forschung betrei- ben, stoßen wir die Entwicklung von Technologien an, die zahlreiche Anwen- dungen in der Hochtechnologie finden. Vor 100 Jahren hätte niemand voraussa- gen können, was wir mit dem damals neu erworbenen Wissen zu Elektronen und elektromagnetischen Wellen anfangen werden, heute haben wir Elektronik und Telekommunikation. Dank der Forschung in der Teilchenphysik ist das World Wide Web (ein Nebenprodukt der Forschung am CERN) entstanden, wir haben Magnet- resonanztomographie und Hadronenthe- rapie. Unser Fachgebiet bildet aber auch hochqualifizierte Arbeitskräfte aus, die danach zu technischen Entwicklungen auf anderen Gebieten beitragen. CR: In welchem Ausmaß ist es mög- lich, Innovationen durch darauf aus- gerichtete Programme, Förderschemen und Ähnliches zu generieren, und in welchem Ausmaß sind sie ein Neben- produkt der wissenschaftlichen Neu- gierde? Ich denke, was den großen Unterschied ausmacht, ist, dass Grundlagenforschung stark auf Kreativität baut. Das öffnet Türen und man findet, was auch immer man findet. Wir machen keinerlei Annah- men darüber, was wir finden sollten. Wir gehen einfach unseren Weg und entde- cken dabei eine Vielzahl an interessan- ten Technologien. Es ist aber von großer Wichtigkeit, die Früchte eines solchen Ansatzes auch zu ernten. Die Abteilung „Technologietransfer“ am CERN sucht gezielt nach Geschäftspartnern, um die besten technische Lösungen auf den Markt zu bringen und einer Anwendung zuzuführen. CR: Wie wird Ihr Forschungsfeld zu wichtigen technischen und gesell- schaftlichen Entwicklungen beitragen? Teilchenphysik als Innovationsmotor Neugierde, die Türen öffnet Pauline Gagnon macht seit vielen Jahren Experimente zur Teilchenphysik am CERN. Aus der von wissenschaftli- cher Neugierde getriebenen Forschung sind zahlreiche Beiträge zur Technologieentwicklung entstanden. Auf der Suche nach der „Dunklen Materie“: Pauline Gagnon hat an zahlreichen Experimenten am CERN teilgenommen. ALPBACH 2016

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