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Chemiereport_2016-4

67 AustrianLifeSciences chemiereport.at 2016.5 CHEMIE & TECHNIK W ie „Industrie 4.0“ bereits heute funkti- oniert und wie sich die Perspektiven darstellen, war Thema der Tagung „Digitalisierung in der Prozessin- dustrie“ im Wiener Siemens-Forum am 1. und 2. Juni. Laut Eckard Eberle, CEO von Siemens Process Automation, ist die Industrie vor allem mit zwei Herausfor- derungen konfrontiert: Erstens wird die Zeit zwischen der Entwicklung und der Vermarktung eines Produkts („time-to- market“) ständig kürzer. Zweitens spie- len die Flexibilisierung der Produktion und die Individualisierung der Produkte eine zunehmende Rolle für den Unterneh- menserfolg. Damit gewinnen laut Eberle Virtuali- sierung und Simulation immer größere Bedeutung. Unter den Begriffen „Integra- ted Engineering“ und „Integrated Opera- tions“ gehe es letztlich darum, den gesam- ten Prozess von der Produktidee bis zur Produktionsanlage mithilfe von Digital- technik zu konzipieren und umzusetzen sowie in der Folge die Anlage optimal zu betreiben. Fast schon Standard sind ihm zufolge mittlerweile 3D-Visualisierungen von Produktionssträngen bis zu komplet- ten Fabriken. Als nächsten Schritt ent- wickle Siemens einen Helm, der die Ver- bindung zwischen der virtuellen und der realen Welt herstellt, kündigte Eberle an. In das Visier des Geräts können sämtliche Daten eingespielt werden, die die Arbei- ter gerade benötigen, etwa, um War- tungstätigkeiten durchzuführen. Eberle fügte hinzu, künftig würden manche Produktionspro- zesse „so komplex sein, dass ein Mensch sie nicht mehr durchschauen kann.“ In solche Fällen müssten die menschlichen Akteure „zulassen, dass die Technik sel- ber handelt“. Erforderlich sei letzten Endes „Vertrauen in die Maschine“. Die Entwicklung gehe in Richtung selbststeu- ernder Anlagen. Bis es so weit sei, gelte es allerdings, „die stabile Steuerung“ beste- hender Anlagen sicherzustellen. An Arbeitsplätzen in der Industrie werde es auch in Zukunft nicht mangeln, ergänzte Eberle. In der „Digitalen Fabrik“ von Siemens in Amberg, etwa 60 Kilome- ter östlich von Nürnberg, seien derzeit rund 1.000 Personen beschäftigt – ebenso viele wie vor 20 Jahren. Qualität durch Design – jetzt aber wirklich Was die Digitalisierung im Bereich der Pharmaindustrie mit sich bringen könnte, skizzierte Christoph Herwig vom Institut für Verfahrenstechnik, Umwelt- technik und Prozessanalyse der Techni- schen Universität Wien (TU Wien). Wie er erläuterte, dauert die Entwicklung eines neuen Arzneimittels zurzeit durchschnitt- lich rund acht bis zwölf Jahre und ist mit Investitionen von etwa 1,4 Milliarden Euro verbunden. Von etwa 10.000 Wirk- stoffkandidaten erweist sich nur einer als medikamententauglich. In zunehmendem Maß fordern die Arzneimittel-Zulassungs- behörden wie etwa die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) den Nachweis, dass die Herstellungsprozesse für Arzneimittel korrekt entwickelt wur- den. Überdies wird die kontinuierliche Überwachung dieser Prozesse verlangt, um die Qualität der Produkte sicherzu- stellen. Schon seit etwa zehn Jahren gilt ferner das Motto „Quality by Design“. Gebracht habe dies alles bisher jedoch wenig, kritisierte Herwig. Bei der Änderung dieses unleidlichen Zustandes kann die Digitalisierung sei- ner Ansicht nach von großem Nutzen sein. Denn robuste Prozesse ergäben sich letztlich nur durch kontinuierliche Mes- sung und Kontrolle aller Qualitätsparame- ter sowie die zielgerichtete Analyse der gewonnenen Daten, um allenfalls notwen- dige Verbesserungen erzielen zu können. „Ich nehme das Wort Big Data bewusst nicht in den Mund. Aber wir müssen aus den Daten nutzbringende Informationen gewinnen“, erklärte Herwig. Nur so lie- ßen sich Prozesse letzten Endes charak- terisieren und optimieren. Dabei könne sich auch die Entwicklung möglichst gut verständlicher virtueller Modelle der Pro- zesse als hilfreich erweisen. Schwankungen vermindern Auch für die Lebensmittelindustrie ist die Digitalisierung ein immer bedeu- tenderes Thema, berichtete Josef Eisen- schenk, Betriebsleiter der Bioethanol- und Weizenstärkefabrik der Agrana in Pischelsdorf 40 Kilometer westlich von Wien. Dort verarbeitet das Unterneh- men etwa 2.000 Tonnen pflanzlicher Roh- stoffe pro Tag, darunter etwa 900 Tonnen Weizen. Prozessenergie liefert die Müll- verbrennungsanlage (MVA) der EVN in Dürnrohr. Wichtig ist laut Eisenschenk der kontinuierliche Datenaustausch mit der MVA, „denn der Dampf darf uns nicht ausgehen“. Pischelsdorf ist hoch automa- tisiert und wird im Wesentlichen von der vor Ort befindlichen Leitwarte aus gesteu- ert. Um die Effizienz zu steigern und Schwankungen in der Produktqualität weiter zu vermindern und dauerhaft auf einem möglichst hohen Niveau zu halten, setzt die Agrana auf verstärkte Digitali- sierung. Laut Eisenschenk handelt es sich nicht zuletzt darum, das Know-how der besten Mitarbeiter in die Anlagensteue- rung zu integrieren und diese jederzeit so zu fahren, „wie es der beste menschliche Operator machen würde“. Etwa zwei Drit- tel der Produktions- kosten der Agrana entfallen auf die Rohstoffe. Aus diesem Grund ist eine möglichst hohe Rohstoffausbeute und ein Vermindern der „Offspec“-Men- gen, die infolge schlechterer Qualität zu niedrigeren Preisen abgegeben werden müssen, anzustreben. Vollständig auf die Digitalisierung verlassen werde sich die Agrana aber nicht, betonte Eisenschenk. Die Mitarbeiter müssten in der Lage sein, die Anlagen auch dann zu fahren, wenn die schöne neue Technik einmal nicht funktioniere. (kf) „Wir verarbeiten 2.000 Tonnen pflanzlichen Rohstoff pro Tag.“ Bild: iStockphoto.com/neyro2008

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