Vertrauen vermitteln, Bewusstsein schaffen Fragen der Lebensmittelsicherheit führen immer wieder zu emo- tional geführten Diskussionen, in denen die Faktenlage allzu oft auf der Strecke bleibt. Ingrid Kiefer, bei der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) verantwortlich für Risikokommunikation, kann davon ein Lied singen. Im Rahmen der Österreichischen Lebensmit- telchemikertage berichtete sie aus der Praxis der Kommunikation einer Bundesagentur. Bezeichnend ist dabei, was man bei der AGES im Rah- men der Erstellung eines „Risikoatlas“ zusammengetragen hat: die Wahr- nehmungen des Risikopotenzials einzelner Faktoren durch Experten, Journalisten und Konsumenten fallen deutlich auseinander. Werden von AGES-eigenen Experten pathogene Mikroorganismen, Fehl- und Überernährung sowie Mykotoxine als die größten mit Lebensmitteln assoziierten Risikofaktoren eingeschätzt, lösen bei Journalis- ten und Konsumenten gentechnisch veränderte Lebensmittel, Pestizide und Arzneimittelrückstände am meisten Besorg- nis aus. Die Risikokommunikation habe hier zwei Auf- gaben, wie Kiefer darlegte: Bei überschätzten Gefahren Vertrauen zu vermitteln, bei unter- schätzten Risiken dagegen Bewusst- sein zu schaffen. 71 AustrianLifeSciences chemiereport.at 2016.5 CHEMIE & TECHNIK Bild: iStockphoto.com/Anna Kucherova Die vielen Aspekte der Qualität Glücklicherweise blieb es aber nicht bei der Betrachtung nur dieser einen Dimension. Nach Klaus Dürrschmid (Department für Lebensmittelwissenschaften der BOKU) beinhaltet die Wert- haltigkeit von Lebensmitteln eine ganze Reihe von Aspekten: Neben Nährwert, Genusswert, Gesundheitswert und Nutzwert fanden auch der Grad an integrierter Dienstleistung („Conve- nience“), der Unterhaltungswert, der Kommunikationswert, die ethisch-religiöse sowie die ökonomische Qualität in Dürr- schmids Aufzählung Beachtung. Zum Nähr- und Gesundheitswert trägt beispielsweise auch der Gehalt an Spu- renelementen bei, wie Manfred Sager erläuterte, der bei der AGES für „Sonder- untersuchungen Elementanalytik“ ver- antwortlich ist. Bei den meisten Elemen- ten gebe es ein Optimum, das von einem Mangel auf der einen und einem Über- schuss auf der anderen Seite abgegrenzt werden müsse. Überraschend gut schnitt beim Gehalt vieler Spurenelemente die Schokolade ab, in der sich etwa ausrei- chend Calcium, Kupfer oder Aluminium findet. Zum großzügigen Genuss könne man angesichts ihres Fett- und Zuckergehalts dennoch nicht raten, wie Sager scherz- haft hinzufügte. Auch Aromastoffe können mehr als nur gut schmecken und riechen. Umfangreiche Untersuchungen von Veronika Somoza von der Universität Wien ergaben etwa, dass Bitterstoffe eine komplexe Wirkung auf die Sekretion von Magensäure haben. So kann die direkte Wechselwirkung mit Geschmacksrezeptoren im Magen eine andere Wirkung haben als die orale Reizung durch denselben Bitterstoff. Ebenso können Scharfstoffe wie Capsaicin oder Nonivamid einen Einfluss auf die Sättigung von Probanden ausüben. Sensorik-Experten der Universität Graz setzen ihr Wis- sen wiederum dafür ein, unangenehme Gerüche bei Schweine- fleisch („Ebergeruch“) zu vermeiden und den steirischen Obst- bau durch die Aromavielfalt alter Kultursorten wieder auf die Beine zu bringen. Die vielen Funktionen der Lebens- mittelverpackung Auch wenn es um die Wechselwirkung zwischen Verpackung und Lebensmittel geht, steht meist der unerwünschte Übertritt („die Migration“) von Sub- stanzen aus der Verpackung ins Lebensmittel im Vordergrund der Diskussion. Besonders die Ver- bindung Bisphenyl-A (siehe Formel) hat immer wieder zu aufgeregten Debatten in der nicht immer gut informierten Öffentlichkeit geführt. Bisphenyl-A ist ein wichtiges Monomer bei der Herstellung von Polycarbonaten und Epoxidhar- zen. Die Verbindung zeigt aufgrund von Ähnlich- keiten mit Östrogen hormonähnliche Wirkung. Ist Restmonomer in Kunststoffverpackungen oder Doseninnenlackierungen vorhanden, kann sich diese auch dort zeigen, wie Johannes Bergmair vom Öster- reichischen Forschungsinstitut für Chemie und Technik (OFI) erklärte. So manche „Horrorergebnisse“ hatten frei- lich auch mit falschen Ergebnissen durch nicht richtig ver- wendete biologische Assays zu tun. Angesichts all dieser sorgenvollen Aufmerksamkeit sollte nicht übersehen werden, welch vielfältige und wichtige Funk- tionen Lebensmittelverpackungen übernehmen, wie Bergmair betonte: Verpackung sei kein unnötiger Müll, sondern ein Wert- stoff, der verhindere, dass noch mehr Lebensmittel verderben, als dies ohnehin der Fall ist. Zu diesen seit langem bekannten Funktionen kommen heute neue hinzu: So berichtete Martin Kreyenschmidt von der Fach- hochschule Münster über aktive Verpackungen, die ein intrin- sisch antimikrobielles Polymer enthalten. Dabei ging man von einem schon vor Jahren am Markt aufgetauchten Produkt aus Poly-tert-Butylaminoethylmethacrylat (kurz Poly-TBAEMA) aus. Dieses hatte zwar antimikrobielle Wirkungen gezeigt, seine Werkstoffeigenschaften erfüllten aber nicht die Anfor- derungen, die die Verpackungsindustrie stellte. Kreyenschmidt und seine Gruppe betrachteten dabei die gesamte Prozess- kette, vom Auffinden eines geeigneten Polymers bis zur Erzeugung von Schutz- folien für Lebensmittelverpackungen. Als geeignete Monomere erwiesen sich Alkylaminomethylstyrole. Die damit erzeugten Polymere zeigten sich auch bei niedrigen Temperaturen, wie sie in der Kühlkette von Fleisch von Bedeutung sind, als breit antimikrobiell wirksam. Eine weitere Verbesserung der Werkstof- feigenschaften des Materials konnte man durch Copolymerisie- rung mit p-Vinylbenzoesäure oder Acrylnitril erreichen. Auch die nächste Herausforderung, die großtechnische Produktion, konnte durch entsprechende Compoundierung gemeistert wer- den. Schließlich gelang auch die Herstellung von Folien, deren äußerste Schicht mit dem entwickelten Polymer antimikrobiell ausgerüstet war. Bisphenyl-A ist wegen seiner hormonähnlichen Wirkung in Diskussion.