Archive - Jun 3, 2020

Erster Schritt zur EU-Pharmastrategie

Die EU-Kommission veröffentlichte Anfang Juni die Roadmap zu dem Dokument, das Ende des heurigen Jahres veröffentlicht werden soll.

 

Bis Jahresende will EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides den Entwurf für die Pharmastrategie der Union präsentieren. Als ersten Schritt veröffentlichte Kyriakides Anfang Juni eine „Roadmap“, zur der Interessierte noch bis 7. Juli Stellung nehmen können. Der Kommissarin zufolge soll die Strategie die erschwingliche, nachhaltige und sichere Versorgung Europas mit Arzneimitteln gewährleisten. „Die COVID-19-Pandemie hat uns deutlicher als je zuvor gezeigt, dass wir ein krisenresistentes System und die Mittel brauchen, um Medikamente in der EU zu erzeugen und so den Patienten und den Krankenhäusern den zeitgerechten Zugang zu wichtigen Arzneimitteln unter allen Umständen garantieren zu können“, betonte Kyriakides.

 

Insbesondere werden mit der Strategie vier Ziele angestrebt:

Erstens sollen die Patienten in ganz Europa Zugang zu neuen Arzeimitteln erhalten und Arzneimittelknappheiten verhindert werden. Zweitens will die EU-Kommission Medikamente leichter erschwinglich machen und den oft beschworenen Gegenwert für die Gesundheitsausgaben steigern. Drittens wird angestrebt, die Möglichkeiten der Digitalisierung noch umfassender als bisher zu nutzen und zu gewährleisten, dass Innovation, wissenschaftlicher Fortschritt und Technologie den therapeutischen Bedürfnissen der Patienten dienen, und dies mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Umwelt. Viertens schließlich soll die Strategie die Abhängigkeit der Europäischen Union von Rohmaterial aus Drittstaaten vermindern und andere Länder dazu veranlassen, die europäischen Qualitäts- sowie Sicherheitsstandards bei der Medikamentenproduktion zu übernehmen, was überdies die Wettbewerbsfähigkeit in der EU beheimateter Pharmakonzerne stärken würde.

 

Etliche Herausforderungen

 

Wie es in der Roadmap heißt, erwirtschaftet die europäische Pharmaindustrie mit ihren etwa 842.000 Beschäftigten einen Außenhandelsüberschuss von rund 91 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Überdies nimmt die Bedeutung von Technologien wie Artificial Intelligence stark zu. Gleichzeitig sieht sich die EU mit einer alternden Bevölkerung, dem vermehrten Auftreten von Krankheiten sowie globalen Gesundheitsgefahren wie COVID-19 konfrontiert. Hinzu kommen Debatten über Arzneimittelknappheiten und die Erschwinglichkeit von Medikamenten: „Deshalb benötigen wir eine holistische, patientenzentrierte und vorwärtsgerichtete gesamteuropäische Pharmastrategie, die den gesamten Lebenszyklus von Arzneien von der wissenschaftlichen Forschung über die Zulassung bis zur Verabreichung an die Patienten abdeckt.“ Die Kommission sieht etliche Herausforderungen für die Gesundheitspolitik der EU. So wandle sich das globale Umfeld der EU rasch, was gravierende Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Medikamenten haben können. Ein „strukturelles“ Risiko sei die wachsende Abhängigkeit Europas vom Import von Arzneimitteln und deren Bestandteilen. Daher gelte es nicht zuletzt, die Lieferketten ausreichend zu diversifizieren.

 

Ferner bieten nicht alle EU-Mitgliedsstaaten ihren Bürgern denselben Zugang zu Medikamenten. Probleme dabei sind unter anderem die Arzneimittelkosten, Preismechanismen und die Vermarktungsstrategien der Hersteller. Auch finden Innovationen nicht immer in jenen Bereichen statt, in denen sie von den Patienten und Gesundheitssystemen benötigt werden. Das betrifft etwa neue Antibiotika sowie Mittel gegen Demenz. Dazu kommen Schwierigkeiten, neue Forschungsergebnisse mit geeigneten Förderungen in marktreife Produkte umzusetzen. „Daher wird der ökonomische Wert europäischer Forschung oft in anderen Ländern realisiert“, bedauert die EU-Kommission. Probleme gebe es auch mit regulatorischen Barrieren: Oft genug halte das Recht nicht mit der wissenschaftlichen Entwicklung Schritt. Für all diese Herausforderungen werde die Pharmastrategie Lösungsansätze zu entwickeln haben.

 

 

 

Apeiron lukriert 17,5 Millionen Euro

Mit dem Geld will das Biotechnologieunternehmen seinen Wirkstoffkandidaten APN01 (rhACE2) weiterentwickeln, der gegen SARS-CoV-2 eingesetzt werden könnte.

 

Rund 17,5 Millionen Euro erzielte die Wiener Apeiron Biologics AG kürzlich im Zuge einer Finanzierungsrunde. Davon kamen 11,9 Millionen von bestehenden und neuen Investoren, den Löwenanteil machten rund sieben Millionen Euro von der Vienna Insurance Group (VIG) aus. Ihr gehören nunmehr rund 3,26 Prozent der Apeiron-Anteile. Weiters haben die FFG, die Wirtschaftsagentur Wien (WAW), die AWS sowie die Erste Bank öffentliche Fördergelder und Garantien von rund 5,6 Millionen Euro zugesagt. Das Biotechnologieunternehmen will die zusätzlichen Mittel nutzen, um seinen Wirkstoffkandidaten APN01 (rhACE2) weiterzuentwickeln. Von Apeiron wird dieser als einer von „ wenigen spezifisch gegen das Coronavirus (SARS-CoV-2, Anm.) gerichteten Therapieansätzen“ bezeichnet.

 

Zurzeit läuft in Kliniken in Österreich, Deutschland, Dänemark und Großbritannien eine Phase-II-Studie mit dem Mittel. Dabei sollen 200 schwer an COVID-19 erkrankte Patienten behandelt werden. „Das primäre Ziel der Studie ist die Bewertung der klinischen Wirksamkeit von APN01 sowie die Bewertung von Sicherheit und Verträglichkeit von APN01 bei COVID-19-Patienten“, hieß es in einer Aussendung. Bei positivem Verlauf der Studie sei „nach Ansicht von Experten“ eine beschleunigte Marktzulassung denkbar. Laut Apeiron-Vorstandschef Peter Llewellyn-Davies war die Finanzierungsrunde überzeichnet. Sein Unternehmen habe „ namhafte und zukunftsorientierte Investoren als neue Aktionäre gewinnen“ können.

 

Plastikflaschen: Weiter Debatten um Pfandsystem

Auch nach dem „Runden Tisch“ sind die Positionen weitgehend unverändert. Immerhin wird weiter verhandelt. Eine Lösung soll es im Herbst geben, spätestens aber zu Jahresende.

 

Spätestens zu Jahresende soll feststehen, ob und allenfalls in welcher Form Österreich ein Pfandsystem für Plastikflaschen einführt. Das sagte Energie-, Klima- und Umweltministerin Leonore Gewessler bei einer Pressekonferenz anlässlich des „Runden Tischs“ zu Kunststoffverpackungen, zu dem ihr Ministerium (BMK) am 2. Juni eingeladen hatte. Bei dem Gespräch mit rund 40 Interessenvertretern, Wissenschaftlern und Parlamentariern wurde vereinbart, bis Herbst „Handlungsoptionen zur Erfüllung der EU-Ziele im Rahmen der Kreislaufwirtschaft“ erarbeiten. Noch im Juni werden weitere Gespräche zu diesem Thema stattfinden. „Für alle Beteiligten am Runden Tisch war es wichtig, rasch Klarheit zu haben. Das ist auch mein Interesse. Wir müssen das Problem des ständig steigenden Plastikmülls in unserer Natur lösen und sicherstellen, dass wir die EU-rechtlich verbindlichen Sammelziele für Kunststoffgetränkeflaschen erreichen. Dazu werden wir jetzt konkrete Details eines möglichen Einwegpfandsystems für Österreich entwickeln. Auch den Stakeholder-Dialog zu Plastik-Verpackungen werden wir wieder aufnehmen um Kreislaufwirtschaft als Ganzes zu betrachten. Schon im Juni wird es dazu weitere Gespräche geben. Wir wollen rasch alle Entscheidungsgrundlagen vorliegen haben“, konstatierte Gewessler.

 

Als Grundlagen für die Debatten betrachtet die Ministerin die Studie „Möglichkeiten zur Umsetzung der EU-Vorgaben betreffend Getränkegebinde, Pfandsysteme und Mehrweg“, die ihre Vorgängerin Elisabeth Köstinger vom Umweltbundesamt, der Montanuniversität Leoben und dem Technischen Büro Hauer erstellen ließ. Laut dieser ist „ein Pfand auf Einweg-Kunststoff-Getränkeflaschen eine kostengünstige Maßnahme, getrennte Sammelquoten von 90 Prozent zu erreichen“. Zum Erreichen der 90-Prozent-Quote ist Österreich aufgrund der Kunststoffrichtlinie der Europäischen Union verpflichtet. Die Richtlinie sieht vor, dass ab 2025 mindestens 77 Prozent der in Verkehr gebrachten Getränkeflaschen aus Kunststoff getrennt gesammelt und recycelt werden müssen, ab 2029 sind es die bereits genannten 90 Prozent. Nach Angaben des Ministeriums fallen in Österreich jährlich etwa 1,6 Milliarden Plastik-Getränkeflaschen an.

 

Wie Gewessler bei der Pressekonferenz betonte, wird die unsachgemäße Entsorgung (Littering) von Einweg-Plastikflaschen zu einem immer größer werdenden Problem. Rund ein Viertel der Entsorgungskosten der Asfinag entfalle bereits auf das Sammeln der Gebinde.

 

Widerstand ungebrochen

 

Widerstand gegen ein Pfandsystem kommt vor allem aus der Wirtschaftskammer und deren Corona. WKÖ-Generalsekretär und Langzeit-ÖVP-Nationalrat Karlheinz Kopf machte mehrfach vehement gegen eine solche Lösung mobil. Und auch nach dem Runden Tisch ist die Position der Kämmerer offenbar unverändert. In einer Aussendung der Bundessparte Handel verlautete deren Obmann Peter Buchmüller, die Einführung eines Einwegpfandes „würde bedeuten, dass Händler für jede Getränkeflasche - egal, ob Einweg oder Mehrweg - ein Pfand einheben müssen. Die Ausgaben dafür wären einfach zu hoch. Einerseits ist der technische Aufwand für die Händlerinnen und Händler immens, andererseits steigen dadurch die Personalkosten für die Abwicklung“. Im einem gerierte sich Buchmüller als Verfechter der Interessen der Konsumenten: Diese könnten im Fall eines Pfandsystems die „Gelbe Tonne“ nicht mehr nützen, sondern müssten die Gebinde in den Geschäften abliefern: „Das geht zu Lasten der Convenience, also des Komforts für Verbraucher.“

 

Magnus Brunner, der Staatssekretär der ÖVP im BMK, gab sich bei der Pressekonferenz pragmatisch. Zur Frage, ob es möglich sei, ein Pfandsystem gegen den Willen der Wirtschaftskammer durchzusetzen, sagte Brunner, entscheidend für eine tragfähige Lösung sei eine „Gesamtsicht. Wir müssen uns faktenbasiert anschauen, was sinnvoll ist“.

 

ARA warnt

 

Ihre Bedenken gegen ein Pfandsystem hat auch die Altstoff Recycling Austria AG (ARA). Vorstand Werner Knausz sagte auf Anfrage des Chemiereports, das Problem sei, die EU-Recyclingziele zu erreichen. Dafür würden 2025 rund 70.000 Tonnen mehr Material als derzeit benötigt, 2030 sogar 90.000 Tonnen. „Ein Pfandsystem würde aber nur etwa 8.000 Tonnen bringen, also knapp ein Zehntel dieser Menge“, warnte Knausz. Dringend notwendig sei auch, Abnehmer für das Recyclingmaterial zu finden. Derzeit sitze die Abfallwirtschaft auf rund 50.000 Tonnen, die wegen des verfallenen Ölpreises und der damit verbundenen niedrigen Kosten für Primärkunststoff niemand wolle. Nicht richtig ist laut Knausz, dass allein der ARA durch die Einführung eines Pfandsystems Einnahmen von rund 24 bis 25 Millionen Euro pro Jahr entgehen würden: „Tatsächlich geht es um etwa 35 Millionen Euro für die gesamte Branche.“ Aber das sei nicht das Entscheidende. Ein Pfandsystem verursache Kosten von vielen Millionen Euro für neue Sortieranlagen, bringe aber so gut wie nichts: „Dass wir ein bisschen Geld verlieren würden, ist nicht so wichtig.“

 

 

Brief von der Wissenschaft

 

Für ein Pfandsystem plädiert dagegen einer der Konkurrenten der ARA, die Reclay UFH. Geschäftsführer Christian Abl sagte anlässlich des „Runden Tisches“, nur mit einem solchen System könne Österreich „die Kapazitätsengpässe der bestehenden Recyclingsysteme überwinden und die definierten EU-Sammel- und Recyclingquoten erreichen“. Für notwendig hält Abl neben der Einführung eines modernen Einweg-Pfandsystems „die Verbesserung der Recyclingfähigkeit mittels Optimierung aller Verpackungen“.

 

Und auch andere Befürworter einer Pfandlösung sind nicht untätig. In einem offenen Brief fordern Umweltorganisationen und Wissenschaftler die Bundesregierung auf, insbesondere drei Maßnahmen zu setzen:

„1. Verbindliche, sanktionierbare Reduktion von Einweg-Kunststoffverpackungen um mindestens 20 bis 25 Prozent bis 2025

2. Förderung und Ausbau von Mehrwegsystemen durch starke Anreizmaßnahmen für den Lebensmittelhandel (mittels Bonus-Malus-Systemen oder vergleichbaren rechtlich verbindlichen Maßnahmen mit konkreten und sanktionierbaren Zielen)

3. Einführung eines Pfands auf alle Getränkeverpackungen zur Reduktion von Littering“.

 

Laut den Unterzeichnern, darunter der bekannten Ökonomin Sigrid Stagl von der Wirtschaftsuniversität Wien, ihrem Kollegen Stefan Giljum und dem auf Nachhaltigkeitsthemen spezialisierten Wiener Politikwissenschaftler Ulrich Brand, kann Österreich „ein europäischer Vorreiter werden und mit derselben Entschlossenheit gegen die Plastikkrise vorgehen wie gegen die Coronakrise“. Vielerorts gebe es bereits einschlägige Initiativen. China etwa werde ab 2022 „eine Reihe von Einweg-Kunststoffartikeln verbieten und wiederverwendbare Verpackungen fördern“. Und die Umweltminister der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) hätten beschlossen, „den Import, die Produktion und die Vermarktung von einigen Einweg-Kunststoffverpackungen in der Region ab 2025 zu verbieten“.

Die Bundesregierung müsse daher das Kapitel Kreislaufwirtschaft ihres Programms rasch und konsequent umsetzen: „Nur dann kann der Abfallvermeidung – dem obersten Grundsatz im europäischen Abfallrecht – tatsächlich Rechnung getragen werden.“