Archive - Feb 24, 2016

Transparenz gefragt

Das öffentliche Gesundheitswesen für die Privatwirtschaft zu öffnen, den Betrieb von Spitälern an private Betreiber auszulagern, bei Ausschreibungen das Bestbieterprinzip anzuwenden, auf die Lebenszykluskosten von Produkten und Anlagen zu achten und im Erstattungskodex der Krankenkassen für Medikamente „Qualitätsaspekte“ zu berücksichtigen - das sind einige der Kernforderungen im Positionspapier „Zukunftsstrategien für die Medizinprodukte- und Pharmaindustrie“. Erarbeitet wurde dieses von den Landesgruppen Niederösterreich, Wien und Burgenland der Industriellenvereinigung (IV) in Kooperation mit Austromed.

 

Bei einer Podiumsdiskussion über das Papier in Wien konstatierte die Wiener Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely, sie bekenne sich natürlich zum Bestbieterprinzip: „Aber wer ist der Bestbieter?“ Dies festzustellen, stoße auf erhebliche Schwierigkeiten. Wehsely plädierte daher für „mehr Transparenz“ auf seiten der Anbieter. Ihr zufolge wäre es grundsätzlich vernünftig, im Vorfeld von Ausschreibungen Gespräche mit potenziellen Anbietern zu führen, wofür eine bestimmte Anlage oder ein Produkt konkret benötigt werde und welche spezifischen Anforderungen es im jeweiligen Fall zu erfüllen gelte. Dies stoße jedoch auf enge rechtliche Grenzen und setze die Beteiligten überdies dem politischen Vorwurf der „Mauschelei“ aus.

 

Klar ist laut Wehsely, dass die Patienten so rasch wie möglich Zugang zu Innovationen haben müssen - sowohl, was Medizinprodukte, als auch, was neue Arzneien angeht. Allerdings sei die Pharmaindustrie aufgerufen, ihre Preisbildung transparenter als bisher zu gestalten: „Und dass die Pharmaindustrie am volkswirtschaftlichen Nutzen neuer Arzneien partizipiert, dafür habe ich null Verständnis.“ Gemeint ist damit das Argument der Pharmabranche, dass innovative Medikamente die Folgekosten im Gesundheitssystem senken, indem sie etwa kostspielige Operationen vermeiden, und daher höhere Preise für die betreffenden Arzneimittel gerechtfertigt sind. Wehsely zufolge ist die im Gang befindliche Überarbeitung des Erstattungskodex´ sinnvoll: „Wir müssen aber auf Augenhöhe reden und eine Antwort auf die Frage finden, was ein fairer Preis ist.“

 

Wenig abgewinnen konnte Wehsely der Forderung nach Privatisierungen im Gesundheitssystem. Sie räumte ein, dieses müsse effizienter werden. Aber: „Ich halte ein starkes öffentliches Gesundheitswesen für wichtig. Es gibt wenige, die sich so eine Versorgung, wie wir sie in Österreich haben, privat leisten könnten.“ Wehsely regte an, die Beitragsgrundlagen zu erhöhen und damit zusätzliche Einnahmen für das System zu erschließen: „Arbeitslose Einkünfte, etwa aus Aktienerträgen, tragen zur Finanzierung des Sozialsystems derzeit nichts bei.“ Das werde es über kurz oder lang nicht sein können.

 

Schrittweise Reformen

 

Für mehr Transparenz plädierte auch Ulrike Rabmer-Koller, seit Ende vergangenen Jahres Vorsitzende des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger (HV). Und auch sie sprach sich „prinzipiell“ für die Einführung des Bestbieterprinzips aus. Sie warnte allerdings vor den damit verbundenen höheren Anforderungen an die Ausschreibung von Produkten und Dienstleistungen: „Der Beschaffungsprozess wird damit auf jeden Fall komplexer.“

 

Nicht einfach zu lösen ist ihr zufolge auch die Frage der Erstattungskosten für innovative Arzneimittel. Der HV sei verpflichtet, die bestmöglichen Leistungen für die Patienten bereitzustellen, „und dabei spielen Innovationen natürlich eine große Rolle. Auf der anderen Seite müssen wir aber sorgsam mit den Beiträgen der Versicherten umgehen. Das ist immer wieder ein Spagat.“ Auch frage sich, ob jede von der Pharmaindustrie behauptete Innovation „wirklich eine ist.“ Den kürzlich abgeschlossenen Rahmen-Pharmavertrag bezeichnete Rabmer-Koller als „vernünftige Sache“. Er helfe dabei, festzustellen, welche Innovationen leistbar sind. Wichtig ist laut Rabmer-Koller, „die Menschen gesund zu erhalten. Wir müssen stärker auf Prävention setzen, um Heilungskosten zu sparen.“  Wie sie einräumte, bestehen auch im Bereich des HV einige „Baustellen“. So sei es nicht einfach, alte, möglicherweise obsolete, Leistungen aus dem Erstattungskodex zu entfernen. Und dass die Leistungen der Krankenkassen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich sind, „ist leider so. Wir arbeiten daran, das auszugleichen.“ Doch gewachsene Strukturen ließen sich nun einmal nicht von heute auf morgen ändern: „Das geht nur schrittweise.“

 

Gefragt ist laut Rabmer-Koller mehr Zusammenarbeit und mehr Flexibilität aller Partner im Gesundheitssystem: „Zurzeit schauen die einzelnen Akteure noch zu sehr auf sich.“ Wehselys Wunsch nach Beitragserhöhungen erteilte die HV-Vorsitzende eine Absage: „Bevor wir darüber nachdenken, reden wir bitte über Effizienzsteigerungen.“

 

Europäischer Markt

 

Philipp von Lattorff, der Generaldirektor von Boehringer Ingelheim in Österreich, verwies darauf, dass der Pharmamarkt „ein europäischer Markt“ ist. Die Preise für innovative Arzneien lägen in Österreich unterhalb des EU-Durchschnitts. Aus diesem Grund komme es gelegentlich zu Knappheiten in der Versorgung, weil die Pharmaunternehmen für jedes Land nur bestimmte Kontingente erzeugten. Der Rahmen-Pharmavertrag ist laut Lattorff „fair“. Die heuer seitens der Pharmaindustrie zu bezahlenden 125 Millionen Euro „sind allerdings ein harter Brocken. Uns allein kostet das vier bis fünf Millionen Euro, und die müssen wir bei Forschung und Entwicklung einsparen.“

 

Wünschenswert wäre ihm zufolge eine „Life-Science-Milliarde“, eine Breitband-Milliarde gebe es ja schließlich auch. Und ganz schlecht sei es um den Pharmastandort Österreich nicht bestellt: Boehringer Ingelheim baue die Produktion in Wien bekanntlich um 500 Millionen Euro aus. Die Stadt Wien habe das Unternehmen „unglaublich unterstützt. Deshalb konnten wir uns gegen Deutschland, Singapur und Irland durchsetzen“, die ebenfalls im konzerninternen Rennen um die neue Fabrik waren.

 

Pharmig-Generalsekretär Jan Oliver Huber fügte hinzu, die Frage der „fairen Preise“ für Arzneimittel werde „schon ewig“ diskutiert. Die Preisbildung erfolge transparent, wie die Branche im Zusammenhang mit dem seinerzeit heftig diskutierten Hepatitis-C-Medikament Sovaldi bewiesen habe: „Die Unternehmen haben dazu umfangreiches Material auf den Tisch gelegt.“ Letzten Endes habe der HV die Kosten akzeptiert. Und, so stellte Huber klar: Die Kostensteigerungen bei den Medikamentenpreisen seien im vergangenen Jahr erheblich unter den vom HV ursprünglich kolportierten gelegen.