Archive - Jun 2, 2016

Die Produktion wird digital

Wie „Industrie 4.0“ bereits heute funktioniert und wie sich die Perspektiven darstellen, war Thema der Tagung „Digitalisierung in der Prozessindustrie“ im Wiener Siemens-Forum am 1. und 2. Juni. Laut Eckard Eberle, CEO von Siemens Process Automation, ist die Industrie vor allem mit zwei Herausforderungen konfrontiert: Erstens wird die Zeit zwischen der Entwicklung und der Vermarktung eines Produkts („time-to-market“) ständig kürzer. Zweitens spielen die Flexibilisierung der Produktion und die Individualisierung der Produkte eine zunehmende Rolle für den Unternehmenserfolg.

 

Damit gewinnen laut Eberle Virtualisierung und Simulation immer größere Bedeutung. Unter den Begriffen „Integrated Engineering“ und „Integrated Operations“ gehe es letztlich darum, den gesamten Prozess von der Produktidee bis zur Produktionsanlage mit Hilfe von Digitaltechnik zu konzipieren und umzusetzen sowie in der Folge die Anlage optimal zu betreiben. Fast schon Standard sind ihm zufolge mittlerweile 3-D-Visualisierungen von Produktionssträngen bis zu kompletten Fabriken. Als nächsten Schritt entwickle Siemens einen Helm, der die Verbindung zwischen der virtuellen und der realen Welt herstellt, kündigte Eberle an. In das Visier des Geräts können sämtliche Daten eingespielt werden, die die Arbeiter gerade benötigen, etwa, um Wartungstätigkeiten durchzuführen.

 

Eberle fügte hinzu, künftig würden manche Produktionsprozesse „so komplex sein, dass ein Mensch sie nicht mehr durchschauen kann.“ In solche Fällen müssten die menschlichen Akteure „zulassen, dass die Technik selber handelt“. Erforderlich sei letzten Endes „Vertrauen in die Maschine“. Die Entwicklung gehe in Richtung selbststeuernder Anlagen. Bis es so weit sei, gelte es allerdings, „die stabile Steuerung“ bestehender Anlagen sicherzustellen. An Arbeitsplätzen in der Industrie werde es auch in Zukunft nicht mangeln, ergänzte Eberle. In der „Digitalen Fabrik“ von Siemens in Amberg, etwa 60 Kilometer östlich von Nürnberg, seien derzeit rund 1.000 Personen beschäftigt - ebensoviele wie vor 20 Jahren.

 

Qualität durch Design - jetzt aber wirklich

 

Was die Digitalisierung im Bereich der Pharmaindustrie mit sich bringen könnte, skizzierte Christoph Herwig vom Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und Prozessanalyse der Technischen Universität Wien (TU Wien). Wie er erläuterte, dauert die Entwicklung eines neuen Arzneimittels zurzeit durchschnittlich rund acht bis zwölf Jahre und ist mit Investitionen von etwa 1,4 Milliarden Euro verbunden. Von etwa 10.000 Wirkstoffkandidaten erweist sich nur einer als medikamententauglich. In zunehmendem Maß fordern die Arzneimittel-Zulassungsbehörden wie etwa die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) den Nachweis, dass die Herstellungsprozesse für Arzneimittel korrekt entwickelt wurden. Überdies wird die kontinuierliche Überwachung dieser Prozesse verlangt, um die Qualität der Produkte sicherzustellen. Schon seit etwa zehn Jahren gilt ferner das Motto „Quality by Design“. Gebracht habe dies alles bisher jedoch wenig, kritisierte Herwig.

 

Bei der Änderung dieses unleidlichen Zustandes kann die Digitalisierung seiner Ansicht nach von großem Nutzen sein. Denn robuste Prozesse ergäben sich letztlich nur durch kontinuierliche Messung und Kontrolle aller Qualitätsparameter sowie die zielgerichtete Analyse der gewonnenen Daten, um allenfalls notwendige Verbesserungen erzielen zu können. „Ich nehme das Wort Big Data bewusst nicht in den Mund. Aber wir müssen aus den Daten nutzbringende Informationen gewinnen“, erläuterte Herwig. Nur so ließen sich Prozesse letzten Endes charakterisieren und optimieren. Dabei könne sich auch die Entwicklung möglichst gut verständlicher virtueller Modelle der Prozesse als hilfreich erweisen.

 

Schwankungen vermindern

 

Auch für die Lebensmittelindustrie ist die Digitalisierung ein immer bedeutenderes Thema, berichtete Johann Eisenschenk, Betriebsleiter der Bioethanol- und Weizenstärkefabrik der Agrana in Pischelsdorf 40 Kilometer westlich von Wien. Dort verarbeitet das Unternehmen etwa 2.000 Tonnen pflanzlicher Rohstoffe pro Tag, darunter etwa 900 Tonnen Weizen. Prozessenergie liefert die Müllverbrennungsanlage (MVA) der EVN in Dürnrohr. Wichtig ist laut Eisenschenk der kontinuierliche Datenaustausch mit der MVA, „denn der Dampf darf uns nicht ausgehen“. Pischelsdorf ist hoch automatisiert und wird im Wesentlichen von der vor Ort befindlichen Leitwarte aus gesteuert.

 

Um die Effizienz zu steigern sowie Schwankungen in der Produktqualität weiter zu vermindern und dauerhaft auf einem möglichst hohen Niveau zu halten, setzt die Agrana auf verstärkte Digitalisierung. Laut Eisenschenk handelt es sich nicht zuletzt darum, das Know-how der besten Mitarbeiter in die Anlagensteuerung zu integrieren und diese jederzeit so zu fahren, „wie es der beste menschliche Operator machen würde“. Etwa zwei Drittel der Produktionskosten der Agrana entfallen auf die Rohstoffe. Aus diesem Grund ist eine möglichst hohe Rohstoffausbeute und ein Vermindern der „Offspec“-Mengen, die infolge schlechterer Qualität zu niedrigeren Preisen abgegeben werden müssen, von höchster Wichtigkeit. Vollständig auf die Digitalisierung verlassen werde sich die Agrana aber auch künftig nicht, betonte Eisenschenk. Die Mitarbeiter müssten in der Lage sein, die Anlagen auch dann zu fahren, wenn die schöne neue Technik einmal nicht funktioniere.

 

 

Glyphosat: ECHA soll entscheiden

Die europäische Chemikalienagentur ECHA soll prüfen, ob das Pflanzenschutzmittel Glyphosat krebserregend ist. Bis das Ergebnis ihrer Untersuchungen vorliegt, bliebe die geltende Zulassung des Mittels aufrecht. Das schlug EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis am 1. Juni vor. Andriukaitis hat für kommenden Montag den Ständigen Ausschuss der EU zu Planzen, Tieren sowie Nahrungs- und Futtermitteln einberufen, um über seine Vorschläge zu entscheiden. Wie er betonte, würde eine Neuzulassung des Mittels durch die EU-Kommission nicht automatisch bedeuten, dass dieses in allen Mitgliedsstaaten uneingeschränkt verwendet werden darf. Vielmehr haben diese das Recht, seinen Einsatz zu limitieren: „Sie brauchen sich nicht hinter der Entscheidung der Kommission zu verstecken.“

 

Andriukaitis fügte hinzu, die Kommission selbst empfehle jedenfalls Einschränkungen in dreierlei Hinsicht. Erstens sollten POE-Tallowamine auf Basis von Glyphosat-hältigen Pestiziden nicht mehr verwendet werden. Zweitens gelte es, den Einsatz von Glyphosat in öffentlichen Parkanlagen, auf Spielplätzen und in Gärten zu minimieren. Überdies empfiehlt die Kommission, die Verwendung des Mittels kurz vor der Ernte einzuschränken.

 

Der Ball liege nun bei den Mitgliedsstaaten, stellte Andriukaitis klar. Die EU-Kommission habe ihr Möglichstes getan, um eine Lösung auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnis zu finden.

 

Logischer Schritt“

 

Laut dem Obmann der Industriegruppe Pflanzenschutz (IGP) Christian Stockmar, „ist das Vorgehen der EU-Kommission ein logischer Schritt“. Die Regularien der EU sehen ihm zufolge eine „wissenschafts-basierte Entscheidung“ vor. Stockmar zufolge könnte die Entscheidung der ECHA binnen zwölf bis 18 Monaten vorliegen. Einmal mehr fügte Stockmar hinzu: „Die aktuellen wissenschaftlichen Daten und über 1.000 Studien allein für die Neuzulassung belegen, dass der Wirkstoff bei sachgemäßem Einsatz für Mensch, Tier und Umwelt unbedenklich ist“. Dies werde auch von einer Reihe von Behörden bestätigt, etwa dem Deutschen Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR), der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), der US-amerikanischen Environment Protection Agency (EPA), der kanadischen Bewertungsbehörde Pest Management Regulatory Agency (PMRA), der australischen Australian Pesticides and Veterinary Medicines Authority (APVMA) sowie dem Joint Meeting on Pesticide Residues (JMPR) der Welternährungsorganisation FAO und der Weltgesundheitsorganisation WHO.

 

Politikerinnen für Totalverbot

 

Ihre Forderung nach einem „gänzlichen Verbot“ von Glyphosat wiederholte die österreichische EU-Parlamentarierin Karin Kadenbach (SPÖ). Sie verlangte „auch in der Landwirtschaft ein glaubwürdiges Ausstiegsszenario“. Die grüne EU-Parlamentarierin Ulrike Lunacek kritisierte den nunmehrigen Vorschlag der EU-Kommission als „halbherzig“. Auch sie tritt für ein vollständiges Verbot des Pflanzenschutzmittels ein.

 

 

 

Kremsmüller: Großreparatur beim Turnaround

Zum erfolgreichen Turnaround in der Raffinerie Schwechat trug auch das oberösterreichische Familienunternehmen Kremsmüller bei. Zusätzlich zu den beauftragten Tätigkeiten ergab sich eine unvorhergesehene Herausforderung: Vier Rohrplatten in einem Prozessofen, einem der Kernstücke der Rohöldestillationsanlage, waren irreparabel beschädigt und mussten ersetzt werden. Kremsmüller gelang es, diese Großreparatur innerhalb von 19 Tagen abzuschließen - zwei Tage vor dem zugesagten Termin. Möglich machte dies nicht zuletzt die gute Vernetzung mit Lieferanten und Kunden. Es galt, kurzfristig einen speziell auf das Material der Platten abgestimmten Schweißzusatz zu beschaffen, der zunächst in ganz Europa nicht verfügbar zu sein schien. Darüber hinaus wurde ein Glühofen benötigt, der erstens die erforderliche Größe für die verschweißten Rohrplatten aufwies und zweitens genau auf 960 Grad wärmebehandeln konnte. „Mit einem ausgeklügelten Fertigungs- und Logistikkonzept wurden zum einen wertvolle Stunden bei der Reparatur eingespart. Zum anderen war es nur so möglich, parallel dazu innerhalb von 23 Tagen rund 900 Sicherheitsventile zu warten und servicieren“, erläutert Projektleiter Thomas Buchta.

Das Familienunternehmen Kremsmüller wurde 1961 gegründet und beschäftigt weltweit rund 2.300 Mitarbeiter. Das Portfolio erstreckt sich vom Behälter- und Apparatebau, über Rohrleitungsbau und Elektro-, Mess- und Regeltechnik bis hin zu Industriedienstleistungen. Bereits seit Gründung des Traditionsbetriebs zählt die Petrochemie zu einer der wichtigsten Zielbranchen von Kremsmüller.